Schulschach-Europameisterschaft 2024 in Irland

Vom 30.05.2024 bis zum 08.06.2024 fand in Limerick (Irland) die Schulschach Europameisterschaft statt. Das Gottfried-Keller-Gymnasium entsandte seine zwei schachlich stärksten Schüler, auch das Paul-Natorp-Gymnasium schloss sich mit vier Schülern an. Weitere Schulen aus Berlin äußerten Interesse, konnten den Organisationsaufwand aber nicht bewältigen. Somit bestand die Berliner Mannschaft aus sechs Schülern.

Das erste Zusammentreffen erfolgte am Flughafen BER. Nach einer kurzen Kennenlernrunde checkten wir ein und stiegen ins Flugzeug. Dort erwartete uns die erste Überraschung. Als wir die finale Teilnehmerliste des Turniers abriefen, stellten wir fest, dass die Berliner Delegation dieses Jahr die einzige aus Deutschland sein würde, wir also zur Deutschen Nationalmannschaft befördert worden waren und das ganze Land repräsentieren würden. Diese bedeutende Nachricht wurde von den Schülern sofort im Flugzeug verbreitet. („Na, wo fliegt ihr denn hin?“ „Wir sind die Deutsche Schulschach-Nationalmannschaft und wir fliegen zur EM!“) Die älteren Sitznachbarn zeigten sich gebührend beeindruckt und schnell sahen sich alle mit Fragen bombardiert, wann sie denn mit Schach angefangen hätten, wie viel sie täglich trainieren würden, wie schlau sie denn insgesamt wären, usw. Ich saß schmunzelnd daneben und hoffte insgeheim, dass wir den nun an uns gestellten, großen Erwartungen auch gerecht werden würden.

Am Mittag landeten wir in Dublin und wurden von dort mit dem Bus nach Limerick gebracht. Das Turnier fand auf dem Gelände der örtlichen Universität statt. Jenes war insgesamt sehr weitläufig und wies viele Vorlesungs- und Verwaltungsgebäude, mehrere große Sportplätze, eine Sport- und Schwimmhalle, mehrere Campus Dörfer zur Unterbringung von Gästen und Studenten sowie eine Konzerthalle auf.

Unsere Unterkunft befand sich in einem der kleinen Campus Dörfer. Dort gab es mehrere vierstöckige Häuser, mit jeweils zwei Wohnungen pro Ebene. Jede Wohnung bestand aus sechs Zimmern mit jeweils eigenem Bad, einem Gemeinschaftsraum und einer Küche. Wir waren auf einer Ebene mit jeweils gegenüberliegenden Wohnungen untergebracht.

Angekommen auf dem Campus wurde das temporäre Zuhause standesgemäß markiert.

Leider besitzt das irische Leitungswasser einen starken Chlorgeschmack, deshalb war die erste Amtshandlung nach unserer Einkunft eine Einkaufstour in den nahegelegenen Supermarkt, um Wasser und Snacks einzukaufen. Danach wurden die Koffer ausgepackt und am Abend schon die ersten Partien zum Aufwärmen gespielt. Den ganzen Tag schon hatten die Spieler nichts anderes als Schach im Kopf gehabt. Im Flugzeug, auf der Busfahrt und jetzt am Abend wurde gespielt. Dazu hatten wir drei eigene Bretter samt Schachuhr mitgenommen.

Mit allem (Über-)Lebensnotwendigem ausgestattet kann das standardmäßige Abendprogramm beginnen.

Das Turnier begann am nächsten Nachmittag. Es wurde in folgenden Altersgruppen gespielt: O7, G7, O9, G9, O11, G11, O13, G13, O15, G15, O17, G17, wobei O für „Open“ steht und G für „Girls“. Vereinfacht könnte man also sagen, es gab die Gruppen Jungen unter 7, Mädchen unter 7, Jungen unter 9, Mädchen unter 9, usw.

Je nach Teilnehmerzahl in der jeweiligen Gruppe wurden 7 bzw. 9 Runden gespielt. Fünf unserer Spieler spielten in der Gruppe O17 (Ejnar-Enki Loos, Yunus Yildiz, Eric Hohenschurz, Fabian Karliova und Benno Adam) und einer in der Gruppe O15 (Eren Brämigk), beide Gruppen wurden im Schweizer System mit 9 Runden gespielt. Dies bedeutete, vom 31.05 bis zum 07.06 wurde jeden Tag eine Partie gespielt, mit einer Doppelrunde am 03.06.24. Alle Partien begannen um 15.00 Uhr, mit der Ausnahme des Doppelrundentages.

Der Spielort befand sich im Hauptgebäude der Universität. Dort gab es mehrere große Räume und Vorlesungssäle, ideal geeignet als Austragungsort für die Partien. Die sogenannte „große Halle“ (auf Englisch klingt es imposanter: „Great Hall“) im Hauptgebäude wurde als Spielort bereitgestellt.

Die große Halle – Austragungsort der Partien

Alle Gruppen spielten hier, streng überwacht von den zahlreichen Schiedsrichtern. Das Turnier fand unter den gültigen FIDE-Regeln statt. Zu den FIDE-Regeln gehört unter anderem, dass keine elektronischen Geräte mit in den Spielsaal genommen werden durften. Daher wurden alle Spieler und Betreuer vor dem Betreten mit Metalldetektoren gescannt. Dazu gab es weitere Vorgaben, wie z.B. ein Redeverbot der Spieler untereinander. Trotz all dieser Auflagen war die Atmosphäre entspannt und die Spielerinnen und Spieler konnten sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Vor dem Start des Turniers hatten wir folgende Ausgangslage:
Insgesamt kamen Delegationen aus Rumänien, Bulgarien, Israel, Türkei, Ukraine, Polen, Island, Spanien, Tschechien, Deutschland, England, Wales, Kroatien, Griechenland und natürlich Irland. Die meisten anderen Delegationen hatte eine Gruppengröße wie wir, zwischen zwei und acht Teilnehmern. Nur die Isländische und die Türkische Delegation rückten mit einem großen Aufgebot an. Die Isländische kam mit 16, die Türkische Delegation sogar mit 80 Spielerinnen und Spielern, wobei letztere das tatsächliche Nationalteam beinhaltete, also die stärksten Jugendspieler aus der Türkei. Alle anderen Delegationen hatten Teilnehmer aus dem semiprofessionellen Bereich mitgebracht. Auch die deutsche Delegation wies nur zwei Vereinsspieler auf, bezogen auf die Ratingzahlen (offizielle Spielstärke der Spieler) hatten wir von Beginn an nur eine Außenseiterrolle.

Die Eröffnungszeremonie des Turniers fand in der Konzerthalle statt und wurde live im irischen Fernsehen übertragen. Alle wichtigen örtlichen Personen waren anwesend, es wurden mehrere Reden gehalten und danach erfolgte der Einmarsch der Delegationen mit der jeweiligen Landesflagge. Abschließend gab es die Möglichkeit Fotos mit dem Bürgermeister zu machen, welche unsere beiden Repräsentanten gerne nutzten.

Unsere Repräsentanten Ejnar-Enki Loos und Eric Hohenschurz mit dem Bürgermeister Gerald Mitchell (Mitte) und den bulgarischen Repräsentanten

Trotz unserer Außenseiterrolle hatten wir uns viel vorgenommen. Auch bei den Berliner Schulschnellschach Meisterschaften, die wir gewinnen konnten, hatte uns niemand auf dem Zettel gehabt. Die Vorbereitung in den Monaten zuvor war intensiv gewesen, jetzt galt es das Erlernte anzuwenden und möglichst viele Partien zu gewinnen. In der O17 strebten wir einen Platz unter den Top 5 an, in der O15 unter den Top 13 (obere Hälfte). Beides realistische Ziele, die natürlich mit viel Arbeit verbunden sein würden. Die Gruppe O17 war sehr stark besetzt, es gab viele Spieler mit einem Rating von über 2000 sowie zwei Internationale Meister (IM), mit einem Rating über 2400, was schon fast dem Großmeisterniveau entspricht. Es war klar, dass diese beiden die ersten zwei Plätze für sich beanspruchen würden, aber um die Plätze 3 bis 5 würde ein harter Kampf entbrennen.

Unser stärkster Spieler, Yunus Yildiz, gewann seine Auftaktpartie gegen seinen Mannschaftskollegen Ejnar-Enki Loos und verschaffte sich so eine gute Ausgangsposition. Die zweite Partie ging unglücklich verloren, da ihm in Zeitnot die Figur aus der Hand rutschte und bevor er sie zurückstellen konnte, die Zeit ablief. Auch in dieser Stellung wäre noch Potential gewesen, um mindestens ein Remi zu holen. Die dritte Partie wurde schnell und souverän gewonnen. In der vierten Partie stand er die ganze Zeit deutlich besser, übersah jedoch eine entscheidende Taktik (siehe Bild, vielleicht findet es der kundige Leser?) und bot am Ende in vorteilhafter Stellung Remi an, da die Zeit sehr knapp wurde. Der Gegner nahm gerne an.

Die fünfte Partie endete mit einem hart erkämpften Remi, die ungleichfarbigen Läufer retteten gegen den gegnerischen Mehrbauern. Die sechste und achte Partie erfolgte gegen die beiden Internationalen Meister, beide Partien gingen chancenlos verloren. In der siebten Partie folgte ein souveräner Sieg gegen den Mannschaftskollegen Eric Hohenschurz. Mit 4 Punkten ging es dann in die letzte und neunte Runde. Mit einem Sieg wäre der fünfte Platz sicher gewesen. Der Gegner hatte jedoch seine Hausaufgaben gemacht und überraschte mit einer ungewöhnlichen, trickreichen Eröffnung. Bereits nach 17 Zügen erfolgte die Kapitulation und somit waren die Chancen auf die Top 5 leider dahin.

Unsere anderen Spieler in der Gruppe O17 befanden sich meist in der unteren Tabellenhälfte und spielten oft gegeneinander. Diese Spiele waren besonders hart umkämpft, ging es doch darum zu zeigen, wer der Chef im Ring war. Insgesamt waren viele schöne Partien dabei, ich staunte oft über die feinen taktischen Finessen.

Eren Brämigk, unser zweitstärkster Spieler und Einzelkämpfer in der O15, erlebte ein wildes Auf und Ab während des Turniers. Die ersten beiden Spiele gingen verloren und er fand sich am Tabellenende wieder. Dann setzte allerdings eine beeindruckende Siegesserie über vier Partien ein (von der 3. bis zur 6ten). Leider gingen die letzten drei Partien verloren. Trotzdem war es eine starke Leistung und die erreichte Punktzahl spiegelt nicht ausreichend die erbrachten Leistungen wider. Oft kämpfte Eren die volle Spielzeit über fünf Stunden und verließ als einer der letzten den Spielsaal.

Die Partien und der Turnierverlauf sind unter folgendem Link einsehbar: https://lichess.org/broadcast/european-school-chess-championships-2024–o17/round-9/qTFblHFx

Unsere Spieler: Yunus Yildis, Ejnar-Enki Loos, Eric Hohenschurz, Benno Adam, Fabian Karliova und Eren Brämigk (von links oben nach rechts unten)

Neben dem täglichen Schach brauchte es natürlich auch Ablenkung und Bewegung im Freien. Die Organisatoren hatten eine breite Palette an Angeboten zusammengestellt: Verschiedene Spiele wie Minigolf, Tischtennis und Billard wurden im Campus Dorf angeboten, zudem konnten die Sportplätze und die Schwimmhalle genutzt werden. Dementsprechend waren wir den Vormittag meist mit der Analyse und der Vorbereitung auf den heutigen Gegner beschäftigt und am Abend, nach Ende der Partien und dem Abendessen, ging es dann nach draußen auf den Sportplatz (Fußball), zum Schwimmen oder zum Tischtennis.

Wir leisteten auch unseren eigenen Beitrag, um die freizeitlichen Angebote zu erweitern. An einem der Abende organisierten wir ein Blitzturnier, offen für alle. Selbstverständlich stürzten sich die erwachsenen Betreuer und Trainer mit Feuereifer ins Gefecht, denn es war etwas frustrierend immer nur zuzusehen, wie die Kinder und Jugendlichen Schach spielten und selbst nicht spielen zu dürfen. Für unsere Mannschaft war es zudem eine großartige Gelegenheit gegen die zahlreichen erwachsenen Titelträger zu spielen und so wertvolle Erfahrung zu sammeln.

Die Atmosphäre war familiär und es war ein idealer Abend, um die Mitglieder der anderen Delegationen näher kennenzulernen. Nach spannenden neun Runden gewannen die favorisierten Titelträger. Der Großteil der Spieler wollte gar nicht mehr aufhören, allerdings wartete das nächste Spiel am Folgetag.

An zwei Tagen unternahmen wir Ausflüge und erkundeten die Umgebung. Der erste Ausflug ging ins Stadtzentrum nach Limerick, Shoppen und Sightseeing standen auf dem Programm. Dazu schlenderten wir durch die Innenstadt, kauften Souvenirs und besichtigten anschließend das älteste Gebäude der Stadt, St. Mary’s Cathedral. Danach ging es zur Burg, King John’s Castle. Dort erwartete uns ein spannender Rundgang durch die Geschichte Irlands. Die einzelnen Zimmer und Türme der Burg waren mit Geschichten und Requisiten aus verschiedenen Zeitaltern gefüllt, sodass man insgesamt, beginnend mit der ersten Besiedlung der Insel, bis zum 17. Jhd. die Geschichte Irlands erfahren konnte. Zusätzlich wurden im Burghof mittelalterliche Spiele angeboten, welche mit großer Begeisterung angenommen wurden. Zwei junge Männer, als mittelalterliche Burgbewohner verkleidet, überwachten bzw. leiteten die Aktivitäten. Einer von ihnen spielte auf einer Leier und sang fröhliche mittelalterliche Lieder, der andere bot Spiele wie Dame an. Letzterer wurde sofort herausgefordert. Nach einem langen und harten Kampf mussten wir uns geschlagen geben, allerdings gab er zu, dass er noch nie so eine intensive Partie Dame gespielt hatte. Es kommt auch nicht häufig vor, dass man von fünf Schachspielern überfallen wird, die mehrere Züge im Voraus berechnen können und viele Varianten kalkulieren.

Zusätzlich gab es Spiele wie Hufeisenwerfen und Tauziehen. Bei letzterem wurden wir etwas übermutig und forderten zu siebt eine 30-köpfige vierte Klasse heraus. Diese zog uns dann unter lautem Gejohle einmal quer über den Burghof, obwohl wir uns mit aller Kraft dagegenstemmten. Die Betreuerin der Gruppe kommentierte anschließend mit frechem Grinsen: „Looks like you‘ve lost.“

Hufeisenwerfen im Burghof, den Blick in die Ferne schweifen lassen von den Burgmauern.

Der zweite Ausflug führte uns in die schönen Naturlandschaften Irlands. Dort begegneten wir einigen Tieren, ein neugieriger Esel ließ sich sogar streicheln. Beeindruckend war vor allem das tiefe Grün der irischen Landschaften und die oft unberührt wirkende Natur.

Auf dem Rückweg kamen wir an den großen Sportplätzen im Norden des Campus vorbei. Dort fand ein großes Fußballturnier statt, mit Live-Musik, Hüpfburgen, Torwandschießen und zu unserer großen Verwunderung, kostenlosem Essen für alle! Wir ließen uns nicht lange bitten und schlemmten, tanzten, hüpften und spielten uns durch den Nachmittag.

Kostenloses Eis, wer könnte da widerstehen?

Schneller als wir dachten, kam das Ende des Turniers und der Tag der Abreise. Wie in den Tabellen ersichtlich verfehlten wir trotz großer Anstrengungen unsere gesetzten Ziele.

Tabellen im Open 17 (links) und Open 15 (rechts)

Schneller als wir dachten, kam das Ende des Turniers und der Tag der Abreise. Wie in den Tabellen ersichtlich verfehlten wir trotz großer Anstrengungen unsere gesetzten Ziele.

Tatsächlich landeten wir am Ende auf den Plätzen 8, 11, 12, 13 und 14 in der Gruppe O17 und Platz 17 in der Gruppe O15 und verpassten unsere realistische Chance auf einen Platz in den Top 5 in O17. Trotzdem waren wir zufrieden. Es waren viele schöne Partien gespielt worden und der Lernzuwachs insgesamt enorm.  Die einzelnen Spieler konnten ihr Können und das schlummernde Potential zeigen, in den nächsten Jahren können sie sich noch weit entwickeln und sehr stark werden. Der Termin für die nächste EM 2025 in Rumänien wurde fest im Kalender gespeichert.

Die begehrten Trophäen.

Während des Turniers hatten sich unsere Spieler mit zwei sechsjährigen türkischen Spielern angefreundet und schossen nach der Siegerehrung neben den obligatorischen Gruppen-Bild (hier ohne Yunus) ein paar Abschiedsfotos mit den jungen Nachwuchsspielern aus der Türkei.

Kurz vor unserer Abreise wurden wir von den irischen Organisatoren verabschiedet, tauschten Kontaktdaten aus und schossen ein weiteres Abschiedsfoto.

Von links nach rechts: IM Mark Quinn (Trainer der irischen Mannschaft), Ejnar-Enki Loos, Yunus Yildiz, Fabian Karliova, Benno Adam, Eric Hohenschurz, Eren Brämigk, Cedric Eis (Trainer der deutschen Mannschaft).

Der Rücktransport zum Flughafen in Dublin und der anschließende Rückflug gestalteten sich entspannt und ohne Zwischenfälle.

Als wir die niederländische Grenze in Richtung Heimat überquerten, ging die Sonne über dem Wolkenmeer unter und bot uns ein wunderschönes Naturschauspiel. Ein würdiger Abschluss unserer Reise.

Insgesamt wurde uns vor Augen geführt, wie schön und fruchtbar internationale Sportturniere sind. Zu den Erfahrungen im sportlichen Bereich, kommt der wichtige internationale Austausch. Schon nach wenigen Tagen hatten sich delegationsübergeifende Freundschaften gebildet, die zum Teil auch jetzt noch bestehen.

Daher möchten wir einen besonderen Dank an den Berliner Schachverband und den beteiligten Schulleitungen aussprechen, die der Reise von Anfang an sehr offen und unterstützend gegenüberstanden und diese erst möglich gemacht haben.

Auch die irischen Organisatoren und Gastgeber zeigten sich von ihrer besten Seite. Alle Delegationen waren sich am Ende einig, dass sie noch nie so ein gut organisiertes und durchgeführtes Turnier dieser Größenordnung erlebt haben.

Wir kommen gerne wieder!

Fotos & Text: Cedric Eis